Von Johann Sebastian Bach zu Albert Schweitzer: Eine Spurensuche
Dieser Artikel wurde als Begleittext zum Benefizkonzert für Lambarene vom 22.8.2013 verfasst. → «Spurensuche» – Benefizkonzert für Lambarene
Albert Schweitzer, allgemein bekannt als Arzt und Theologe, war auch Bachforscher, Musikpublizist und Organist. Er studierte in Paris bei Charles-Marie Widor. Die musikalische Spur vom Barockkomponisten Johann Sebastian Bach zum Arzt, Theologen und Organisten Albert Schweitzer führt durch eine Reihe von Lehrer-Schüler-Beziehungen. Erleben Sie eine spannende Reise quer durch das Europa des 18. und 19. Jahrhunderts (Deutschland-Polen-Belgien-Frankreich):
Zu Johann Sebastian Bachs Schülern zählen in erster Linie vier seiner Söhne: Wilhelm Friedemann, Carl Philipp Emanuel, Johann Christoph Friedrich und Johann Christian. Von seinen weiteren Schülern sind für unsere Spurensuche zwei Komponisten wichtig: Johann Ludwig Krebs und Johann Christian Kittel.
Johann Ludwig Krebs war von 1726–1735 in Leipzig Schüler von Johann Sebastian Bach, der seinen Lieblingsschüler als „einzigen Krebs in meinem Bache“ bezeichnete. Nach Stationen in Zwickau und Zeitz wirkte Krebs von 1756 bis zu seinem Tod am Neujahrstag 1780 als Herzoglicher Hoforganist in Altenburg. Von Krebs sind uns etwa 230 Werke überliefert, darunter zahlreiche Orgelwerke. 2013 jährt sich der Geburtstag dieses bedeutenden Komponisten und Organisten zum 300-sten Mal. Er vertritt deshalb in diesem Konzertprogramm die Generation der direkten Bachschüler.
Sein „Mitschüler“ Johann Christian Kittel wurde 1732 in Erfurt geboren und war ab 1748 in Leipzig Schüler Bachs, später Organist in Schmalkalden und in Erfurt. Als Orgelspieler und Komponist hatte er zu Lebzeiten einen legendären Ruf. Kittels grosse Bedeutung besteht darin, die Orgeltradition Bachs mittels seiner Orgelschule und seiner Schüler bis in die Neuzeit überliefert zu haben.
Christian Heinrich Rinck stammte aus einer thüringischen Lehrerfamilie und wurde mit ca. 16 Jahren Schüler von Johann Christian Kittel. Rinck verzichtete auf ein weiterführendes Studium und wurde 1790 Stadtorganist in Giessen, ab 1805 Kantor und Organist in Darmstadt, später Hoforganist und Kammermusiker von Grossherzog Ludwig I. Rinck galt schon in jungen Jahren als einer der besten Organisten seiner Zeit. Sein Einfluss auf die Entwicklung der Orgelmusik in der Mitte des 19. Jahrhunderts war bedeutend.
Adolf Friedrich Hesse war der berühmteste Schüler Rincks, er wurde 1831 Erster Organist an der Bernhardinkirche in Breslau im heutigen Polen. Hesse galt in Deutschland als bedeutender Organist und erregte in Paris und London Aufsehen durch sein virtuoses Pedalspiel. Er wurde auch der „schlesische Bach“ genannt. Hesse galt weitherum als Kenner der Bachschen Orgelmusik und deren Interpretation.
Jacques-Nicolas Lemmens wurde von seinem Brüsseler Lehrer nach Breslau geschickt damit er sich bei Adolf Hesse mit der bachschen Orgeltradition vertraut machen konnte. Hesse distanzierte sich später öffentlich von Lemmens, in dessen Kompositionen kaum Einflüsse Hesses erkennbar sind. Die Linie von Bach bis zu Widor und seinen Schülern erfährt spätestens hier eine deutliche stilistische Bruchstelle. Nachdem Lemmens mehrere Preise für Komposition, Orgel- und Klavierspiel gewonnen hatte, wurde er selber Lehrer für Orgel am Brüsseler Konservatorium. Zu seinen Schülern zählen bedeutende französische Orgelvirtuosen wie Alexandre Guilmant und Charles-Marie Widor.
Charles-Marie Widor reiste 1863 nach Brüssel, wo er einige Zeit von Lemmens intensiv im Orgelspiel unterrichtet wurde. Aus dieser Zeit stammen die ersten Kompositionen Widors, die später zum Teil Eingang in seine Orgelsinfonien gefunden haben. Zu seinen Studenten zählten bekannte Komponisten und Organisten wie Nadia Boulanger, Louis Vierne, Arthur Honegger, Charles Tournemire, Hans Klotz, Darius Milhaud, Marcel Dupré, Edgar Varèse und auch Albert Schweitzer. Schweitzers Lehrer regte ein Buch über Johann Sebastian Bach an, durch das die französische Orgelwelt stärker mit der für Bach grundlegenden protestantischen Kirchenmusik und ihrem Wortbezug vertraut gemacht werden sollte (J. S. Bach, le musicien-poète, Paris 1905). Widor selbst verfasste dazu das Vorwort. Er riet auch zu einer deutschen Fassung, woraus Schweitzers grosse Bach-Monographie entstand, ebenfalls mit einem Vorwort Widors versehen (Johann Sebastian Bach, Leipzig 1908).