Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ


Termin Details


Dieterich BuxtehudeSamuel ScheidtJohann Sebastian BachJohann Ludwig Krebs Friedrich ZippRolf Schweizer

Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ

Der Gottesdienst steht im Zeichen des Kirchenliedes «Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ» bzw. dessen Dichters Johannes Agricola. Die Melodie zu diesem Lied entstand kurz nach dem Text (1526 bzw. 1529), Text und Melodie bilden dementsprechend eine starke Einheit. Der Schöpfer der Melodie ist nicht bekannt.

Hier vollendet erst die Melodie das Lied. Wie kaum in einem andern ist sie das Blut, das dem Leibe Farbe gibt. Wie sie sich der Dichtung Wort für Wort anschmiegt! Wie schön und kühn schwingt sich der Bogen «Den rechten Glauben, Herr, ich mein», dann das feine Echo: «du mir geben, dir zu leben», bis zur tapferen Erhebung in der folgenden Zeile. Und gleich einer Segensgebärde der herrliche Schluss! Die Weise ist eine schöne Mischung von Wehmut und Zuversicht, das heisse Ringen einer mannhaften Seele. [Theophil Bruppacher in «Gelobet sie der Herr», Erläuterungen zum reformierten Gesangbuch von 1953]

Paul Gerhardt hat 120 Jahre später sein Glaubenslied «O Jesu Christ, mein schönstes Licht» ebenfalls auf diese Melodie gedichtet (RG 654).

Die Orgelwerke im heutigen Gottesdienst

Für den heutigen Gottesdienst habe ich sechs Choralbearbeitungen aus drei Jahrhunderten ausgewählt. Die kompositorischen Formen sind vielseitig, sie reichen von schlichten homophonen Sätzen bis zu kunstvoll verarbeiteten Fantasien.

  • Dieterich Buxtehude: Choralfantasie BuxWV 196
  • Samuel Scheidt: Fantasia (aus Tabulatora nova I)
  • Rolf Schweizer: Choralvorspiel
  • Johann Sebastian Bach:  Choralvorspiel BWV 639 (aus dem Orgelbüchlein)
  • Friedrich Zipp: Choralvorspiel aus Zwölf kleine Choralvorspiele
  • Johann Ludwig Krebs: Choralbearbeitung pro Organo pleno

In der Fantasie von Dieterich Buxtehude steht die Melodie vorwiegend in der Oberstimme, in den letzten beiden Choralzeilen im Bass. Interessant ist in dieser Komposition, dass der Melodieabschnitt „Den rechten Glauben, Herr, ich mein“ fehlt. An dessen Stelle steht ein freies Zwischenspiel mit triolischer Bewegung. Das Stück hat einen überraschend freudigen Charakter. Möglicherweise dachte Buxtehude eher an den Text des Gerhardt-Liedes „O Jesu Christ, mein schönstes Licht“, das zur gleichen Melodie gesungen wird.

In der eher strengen Komposition von Samuel Scheidt wird die Choralmelodie Zeile für Zeile in allen Stimmen durchgeführt, anfänglich wird jeder Abschnitt mit einer Kadenz klar abgeschlossen. Im zweiten Teil werden die Abschnitte immer enger verwoben und gehen gegen den Schluss fliessend ineinander über.

In der meditativen, klanglich farbigen Bearbeitung von Rolf Schweizer steht die Melodie in der Tenorstimme, die einzelnen Zeilen werden durch Vorimitationen in den Oberstimmen eingeleitet, der Bass schreitet in einem Ostinato in halben Noten voran. Vor der Zeile „Den rechten Glauben, Herr, ich mein“ steht eine kleine Kadenz, danach wird das Grundtempo wieder aufgenommen.

Die drei letzten Kompositionen von Bach, Zippund Krebs sind formal einfacher, die Melodie steht bei allen als Ganzes im Diskant. Bei Johann Sebastian Bach finden wir ein kunstvolles Zusammenspiel einer wenig kolorierten Solostimme über einer wiegenden Begleitung. Der Satz von Friedrich Zipp ist dagegen sehr schlicht, Johann Ludwig Krebs setzt mit seiner Komposition pro Organo pleno einen kräftigen Schlusspunkt.

Anmerkung: Die wohl bedeutendste Bearbeitung des Chorals «Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ» ist die umfangreiche Choralfantasie von Vincent Lübeck. Das zehnteilige Orgelwerk gilt als sein kompositorisches Meisterstück. Mit seinem ausgedehnten Umfang sprengt es den gottesdienstlichen Rahmen.

Hans Egg, Orgel
Christoph Bolliger, Liturgie und Predigt